
Am 27. und 28. Juni fand bundesweit der “Tag der Architektur 2015” statt. Die Bundesarchitektenkammern luden an diesen beiden Tagen dazu ein, interessante Architektur zu besichtigen und Hintergründe zu erfahren. Ich war mit der Kammergruppe Rems-Murr-Kreis, organisiert und geführt von Architekt Christoph Fetzer, unterwegs. Nachdem der Vormittag mit sintflutartigen Regenfällen nicht gerade zu einer Besichtigungstour einlud, starteten wir um 14 Uhr bei schönstem Sonnenschein zur Architektur-Rundfahrt. Vier Stationen waren das Ziel, drei Wohnhäuser und ein Weingut. Der Abschluss versprach ein rühmliches Ende der Reise, die Teilnehmer darunter Architekten und Interessierte durften gespannt sein. Ich startete in einem gut gefüllten Reisebus zu meinem ersten Tag der Architektur.

Die Vergangenheit des Hauses sollte sichtbar bleiben.
Die beiden ersten Einfamilienhäuser führten uns in den beschaulichen Luftkurort Welzheim. In der Limesstadt wütete 1726 ein Stadtbrand, der alles zerstörte bis auf drei Häuser. Unser erstes Ziel wurde nach dem verheerenden Brand ungefähr 1730 erbaut. Das innen liegende Fachwerk wurde vom Bauherr, der das mitten in der Stadt gelegene Häuschen geerbt hat, in mühevoller Arbeit freigelegt. Die Vergangenheit des Hauses und damit ein Stück weit auch der Familie sollte im Haus sichtbar sein. Ein mutiges Vorhaben, das von Architekt Peter Brinkmann aus Welzheim begleitet wird. Mutig deshalb, weil bei der Vereinbarkeit von erhaltenswertem Alten mit den neuen Anforderungen viel Kreativität gefragt ist. Größere Fensterflächen waren nötig, damit im Haus helle, lichtdurchflutete Räume entstehen. Aufgesetzte Glaskästen erfüllen nicht nur diese Funktion, sie prägen die Fassade optisch und bilden einen schönen Kontrast zu der sägerauhen Holzfassade. In Anlehnung an den ursprünglichen Bau sollten möglichst natürliche Materialien verwendet werden. Bei all der vielen Geschichte galt es aber auch, die modernen Anforderungen an Wärmedämmung, Energieeffizienz und Brandschutz zu erfüllen. Das stolze Ergebnis: Effizienzhaus-Standard 85. Dafür wurde das EG mit Mineralwolle und das OG sowie Dach mit Holzfasern gedämmt und die Fenster mit Dreifach-Verglasung ausgestattet. Das Haus, der gastfreundliche Bauherr und die lebhaften Gespräche haben uns ein bisschen aus dem Zeitplan gebracht. Schnell geht es weiter zum Objekt Nummer 2.

Der frühere Eingang wird heute als Bad genutzt.
Hier präsentierte uns Architekt Brinkmann eine Umbaumaßnahme, die so ganz im Kontrast zum ersten Beispiel steht. Bei dem Einfamilienhaus von 1969 sollte anfangs nur der Eingangsbereich modernisiert werden. Schnell entstand daraus viel mehr und das Haus erhielt nicht nur einen neuen Eingang, sondern auch eine komplett neue Optik, eine Gaube, tolle Außenbereiche sowie eine energetische Sanierung. Aber beginnen wir am Anfang: Der Eingang. Der liebevoll vom Vater der Bauherrin konstruierte Holzvorbau, wurde einfach umbaut und beinhaltet nun das Bad des Ehepaars. Die Eingangstür wanderte kurzerhand an die rechte Seite des Einfamilienhauses zwischen Haus und Garagen. Ein begrüntes Flachdach verbindet die Garagen und das Gebäude auch optisch. Praktischer Nebeneffekt: Der Eingangsbereich ist überdacht und dahinter zum Garten hin ist ebenfalls ein geschützter Außenbereich entstanden. Die waagrechte naturbelassene Holzverschalung ohne Dachüberstand gibt dem Einfamilienhaus ein modernes Erscheinungsbild. Im Innern wurde der Eingangsbereich nach oben bis in die Gaube geöffnet, sodass eine großzügige zweigeschossige Halle entstanden ist. Mit entsprechender Dämmung, Holz-Alufenster und einer Pelletheizung mit Solarunterstützung erreicht das Haus Effizienzhaus-Standard 70.

Eine Gaube schafft Raum für eine neue lichtdurchflutete Eingangshalle.
Wieder im Bus geht es immer tiefer hinein ins Remstal. Die Straßen werden schmaler, der Wald dichter. Unser nächster Stopp führt uns ins beschauliche Weinstadt-Baach. Hier empfängt uns die Bauherrin stolz vor dem als Ferienhaus errichteten Haus auf dem überaus schmalen zehn mal acht Meter kleinen Grundstück. “Hier kann man nichts bauen” bekam sie zu hören. Als langjährige und begeisterte Teilnehmerin an den Architektur-Rundfahrten zum “Tag der Architektur” ließ sie sich nicht entmutigen. Und wurde fündig: Mit Architekt Martin Bühler aus Weinstadt entstand ein schickes Haus mit 103 Quadratmetern Wohnfläche. Im Innern ist von knappem Raumangebot nichts zu spüren. Der langgestreckte schmale Bau ist hell und nutzt den vorhanden Platz bestens aus. Erschließungsflure im klassischen Sinne gibt es nicht, die Treppe ist ganz an der Seite des Baukörpers, sodass der restliche Raum frei für Wohnflächen ist. Die Asymmetrie des Daches bietet dem Treppenhaus ausreichend Kopffreiheit. Außerdem, so lacht die Bauherrin, war ihnen ein symmetrisches Dach zu langweilig. Im ersten Geschoss kommt man direkt in einen großzügigen offenen Koch- und Essbereich. Im Anschluss daran, vom restlichen Bereich abgetrennt, das Wohnzimmer. Im OG liegen zwei Zimmer über die gesamte Hausbreite und dazwischen, neben dem Treppenhaus ist das Bad. Jeder Winkel wird genutzt, im Schlafzimmer befindet sich beispielsweise in der Dachschräge ein praktisches Schranksystem.

Klein, aber oho – das schmale Gebäude überrascht durch ein großzügiges Raumgefühl.
Nach diesem Exkurs in Sachen “auch auf dem kleinsten Grund kann schöner Wohnraum entstehen” ging es in andere Dimensionen zur Weinkellerei Wilhelm Kern nach Kernen-Rommelshausen. Hier fand das Familienunternehmen im Gewerbegebiet auf sagenhaften 15.000 Quadratmetern optimale Bedingungen. Die ebene Fläche bietet genug Raum für Keller, Anlieferung, Tanklager, Abfüllung, Flaschenlager, Verkauf, Verwaltung und Wohnen. Herzlich empfangen wurden wir von Friedrich und Brigitte Kern mit einem stilvollen Umtrunk. Danach führte uns der Inhaber zusammen mit Architekt Alexander Scheel von den Scheel Inselsbacher Architekten und Ingenieure in Fellbach durch den Betrieb. Über die ansprechende Architektur und den interessanten baulichen Anforderungen hinaus war es ein tolles Erlebnis, solch ein modernes Weingut besichtigen zu können. Doch eins nach dem anderen. Die unbehandelte Holzfassade mit den schwungvollen Auslässen spiegelt das Naturprodukt und die Schnörkellosigkeit, mit der auch die Weine beschrieben werden, wider. Im Anschluss befindet sich die Produktionshalle, in der sich beeindruckende Edelstahl-Tanks aneinanderreihen. Hier herrscht aufgrund der Gärungsprozesse eine sehr korrosives Klima, was besondere Anforderungen zum Beispiel an den Fliesenbelag und das Fugenmaterial stellt. Die frei werdende Kohlensäure wird mittels Ventilatoren übers Dach oder das Tor aus der Halle befördert, denn diese wird in zu hoher Konzentration lebensgefährlich. Ein paar traditionelle Holzfäser fanden wir dann zwischen den riesigen, metallisch glänzenden Tanks auch noch. Auch hierzu erfuhren wir viel Wissenswertes, so kenne ich jetzt beispielsweise den Unterschied zwischen “im Barriques-Fass gelagert” und “im Holzfass gelagert”.

Ein Weingut, das viele Bereiche vom Wohnen bis hin zur Produktion vereint.
Der Ausklang fand im stilvollen Verkaufsraum natürlich mit einem guten Tropfen statt. Schade nur, dass das Auto in Waiblingen auf meine Rückkehr wartete. So kehrte ich voller Eindrücke und gut gelaunt, wenn auch nicht weinbeseelt, wieder nach Hause zurück. Es war eine tolle Architektur-Rundfahrt. Nächstes Jahr bin ich bestimmt wieder mit von der Partie.
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